Rede von Volker Stelzer (Scientists for Future) zum Auftakt der Demonstration der Fridays for Future in Karlsruhe zum Globalen Klimastreik am 23.09.2022 (Download hier)
Liebe Mitstreikende,
wir leben in schwierigen Zeiten: Hitze, Trockenheit, Brände, Wasserknappheit, Überschwemmungen, Krieg, hohe Energiepreise – bei uns und weltweit – und die Aussichten sind, dass diese Krisen noch dramatischer werden.
Bei allem Schrecken dieser Krisen – ein Gutes haben sie: Die Ursachen dieser Krisen sind menschengemacht. Dies bedeutet, dass wir – solange keine Kippunkte überschritten sind – diese krisenhaften Entwicklungen stoppen können. Um diese Entwicklungen aufzuhalten, müssen wir allerdings schnell und konsequent handeln. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Das bedeutet auch, dass wir keine Zeit haben in Lösungen zu investieren, die uneffektiv sind oder gar nicht zur Problemlösung beitragen.
Leider gibt es Personen und Personengruppen, die solche Scheinlösungen propagieren – teils wissentlich, z.B. um ihre Geschäftsmodelle zu schützen oder aus Bequemlichkeit, teils unwissentlich.
Zu den Scheinlösungen gehören:
Nutzung der Nuklearenergie: Die Nutzung von Nuklearenergie ist unsicher und risikobehaftet. Das beste Beispiel ist, dass in Frankreich aktuell ein Großteil der Nuklearkraftwerke keinen Strom produziert, da ihr sicherer Betrieb nicht gewährleistet ist. Für deutsche Atomkraftwerke sind wichtige Sicherheitsüberprüfungen ausgesetzt worden, mit dem Hinweis auf die Abschaltung am 31.12.2022. Diese nachzuholen würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Das Risiko eines massiven Störfalls in einem Atomkraftwerk sollte nicht eingegangen werden, auch weil Atomkraftwerke an der Situation in Deutschland nichts verbessern würden. Ihre Trägheit im An- und Abfahren führt eher zu einer Verstopfung des Stromnetzes für erneuerbare Energien. Für die allermeisten möglichen Situationen im Winter haben wir aber ausreichend Grundlastkraftwerke. Die Nuklearkraftwerke sollten deshalb nur im äußersten Notfall wieder hochgefahren werden.
Atomkraft ist eine Scheinlösung!
Einfangen und Abscheiden von CO2 – Carbon Capture und Storage (CCS): Es gibt Stimmen, die sagen, wir können so weitermachen wie bisher, wir müssen nur das Treibhausgas CO2 bei den fossilen Prozessen abtrennen und dann im Untergrund verpressen. Damit wäre es nicht mehr relevant für die globale Temperaturerhöhung. Doch es ist nicht gesichert, was das CO2 im Untergrund macht und ob es dort wirklich bleibt oder nicht durch Spalten und Ritzen wieder an die Oberfläche gelangt und dann doch zur globalen Temperaturerhöhung beiträgt, was ja eigentlich vermieden werden sollte. Viele der ehemals geplanten CCS-Projekte sind eingestellt worden, auch aus Kostengründen.
CCS ist eine Scheinlösung!
Erdgasnutzung: Erdgas ist von der EU als nachhaltig eingestuft worden. Ein Argument ist, dass bei der Verbrennung von Erdgas weniger Kohlendioxid freigesetzt wird, als bei dem Verbrennen von Öl und Kohle. Damit wäre es gut für das Klima. Hierbei wird meist nicht darauf hingewiesen, dass bei der Erdgasgewinnung und dem Transport viel Erdgas unverbrannt in die Atmosphäre entweicht. Dabei ist wichtig zu wissen, dass ein Molekül Erdgas – pro Kohlenstoffatom und bezogen auf die wichtigen nächsten zwanzig Jahre – die 80-fache Treibhauswirkung eines Kohlendioxid- Moleküls hat. Bezieht man diese Effekte ein, so ist manches Gaskraftwerk klimaschädlicher als ein Kohlekraftwerk.
Erdgasnutzung ist eine Scheinlösung!
Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung: Weithin gilt Bioenergie als klimaneutral, da ja nur so viel CO2 in die Atmosphäre emittiert wird, wie vorher von der Pflanze aufgenommen wurde. Beim Holz ist es allerdings so, dass dieses viele Jahre gebraucht hat, um der Atmosphäre das CO2 zu entziehen, was dann in Sekunden wieder freigesetzt wird. Dabei ist es für die Klimaerwärmung egal, ob ein CO2-Molekül aus Kohle, Erdgas oder Holz stammt. Die kleinen Setzlinge, die für einen gefällten Baum gepflanzt werden, haben aber lange Zeit nicht die CO2-Bindungswirkung wie sie der gefällte Baum vorher hatte. Aus diesem Grund ist die Holznutzung über lange Zeiträume betrachtet klimaneutral, aber nicht für die nächsten 20 Jahre, auf die es jetzt ankommt. Beim Anbau von z.B. Mais zur Biomassenutzung wird das CO2 zwar kurzfristig gebunden, aber durch den Einsatz von energieintensiv hergestelltem Kunstdünger und anderen Hilfsmitteln kann die Klimabilanz von Biogas so schlecht wie die von Kohle sein. Nur Abfallbiomasse zur Energieerzeugung ist relativ wenig klimaschädlich. Die Mengen an Abfallbiomasse sind allerdings begrenzt.
Der vermehrte Anbau von Biomasse zur Energieerzeugung ist eine Scheinlösung!
Nutzung von Wasserstoff für den Alltagsgebrauch: Wasserstoff ist Teil der neuen Energiewelt. Es wird in Zukunft in großem Maßstab für die Zement- und Stahlproduktion benötigt und für einige Mobilitätsanwendungen. Er ist allerdings nicht – wie in manchen Diskussionen suggeriert wird – ein Rohstoff wie Kohle, Sonne oder Wind. Wasserstoffgas muss aufwändig technisch – unter Einsatz von Energie – hergestellt werden und ist sehr energieineffizient, vor allem wenn man die Energie für die Kühlung bzw. den Druck bei Leitung und Speicherung berücksichtigt. Solange wir also erneuerbare Energien nicht im Überschuss haben, sollte Wasserstoff nur sehr sparsam und für die genannten Spezialanwendungen genutzt werden oder zum Speichern von zeitlichen Stromüberschüssen der erneuerbaren Energien. Für die allermeisten Anwendungen ist die direkte Stromnutzung aus erneuerbaren Energien effizienter als die Nutzung von Wasserstoff.
Die Nutzung von Wasserstoff für den Alltagsgebrauch ist eine Scheinlösung!
Aber was sind dann sinnvolle Lösungen, wie wir Menschen den Anstieg der Klimakrise stoppen können? Auch dazu hat die Wissenschaft Lösungen vielfältig veröffentlicht:
Energiesparen:
Natürlich gehören hierzu: weniger heizen, weniger Strom verbrauchen und weniger fossil unterwegs sein. Aber auch: Weniger Produkte kaufen. Jedes Produkt ist mit Energieaufwand hergestellt worden. Mehr reparieren und reparieren lassen, mehr teilen und mehr weiternutzen.
Also: Weniger Energie nutzen, aber auch weniger neue Handys, neue Kleidung etc. kaufen!
Nutzung erneuerbarer Energien: Die Natur stellt uns durch Sonne, Wind, Umgebungswärme, Untergrundwärme, Wasserkraft und Meeresenergie ein Vielfaches der Energie zur Verfügung, die wir benötigen. Die Technologien, diese Energiequellen zu nutzen sind weitestgehend vorhanden.
Also: Verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien!
Festlegung von CO2, aber nicht als CCS, sondern zum einen in natürlichen Systemen wie Wäldern, Böden und Mooren. Diese natürlichen Systeme speichern in natürlichem Zustand viel CO2. Durch falsche Behandlung haben sie aber in den letzten Jahrzehnten auf dramatische Weise Kohlenstoff verloren. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Systeme ihre CO2-Bindungswirkung wiedererlangen.
Außerdem sollten wir CO2 in Produkte nutzen wie Möbeln, aber vor allem auch im Hausbau. So kann CO2 auf lange Zeit von der Atmosphäre ferngehalten werden.
Also: Festlegung von CO2 in natürlichen Systemen und technischen Produkten!
Weniger tierische Produkte essen: Durch die Tierhaltung werden immense Mengen an Treibhausgasen freigesetzt. Rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird für die Ernährung von Nutztieren verwendet. Diese könnten viel sinnvoller, z.B. für den Aufbau von Biomasse genutzt werden.
Also: Weniger Fleisch, Käse, Butter, Milch etc. konsumieren!
Und das Gute ist: Wenn wir diese Maßnahmen umgesetzt haben, haben wir nicht nur die Klimaerwärmung gestoppt, sondern weniger Lärm, weniger Luftverschmutzung und damit weniger kranke Menschen, weniger Kohleabbaugruben, weniger Abholzung des Tropenwaldes, weniger Abhängigkeit von Diktaturen, mehr Einkommen in der Region und mehr zukunftsfähige Arbeitsplätze vor Ort – also mehr Lebensqualität!
Aber wir können noch mehr tun:
- Bei Wahlen die Parteien und KandidatInnen wählen, die sich für „echten Klimaschutz“ einsetzen
- Sich in Gruppen wie den FFF und Vereinen engagieren
- Mit Freunden, Nachbarn, Bekannten über die Klimakrise reden
- Petitionen einreichen und auf Demonstrationen gehen
Also: Lasst uns handeln, lasst uns schnell handeln, lasst uns sinnvoll handeln!